14. April 2014

AUSSTIEG — (K)EIN WEG ZURÜCK

von Christian Ernst Weißgerber

Der Titel der Video-Reihe lautet „Ausstieg — (K)ein Weg zurück“. Man könnte meinen, damit sei schon klar, was in den einzelnen Episoden vor sich gehen wird: Noch ein weiterer ‚Ex-Nazi’ der reuevoll von seiner Vergangenheit erzählt und im moralisierenden Singsang auf die Gefahren der rechtsextremen Weltanschauung und Gewalt hinweist.

Die neue Reihe “AUSSTIEG — (K)EIN WEG ZURÜCK” startet am Sonntag den 20.04. ab 18.18 Uhr auf TIMBOX TV. Anschliessend jeden Sonntag eine neue Folge.

Ich bereue nichts! Ich bin mir der Anstößigkeit dieses Ausspruchs wie seiner historischen Verwendung bewusst, meine aber, dass ich überhaupt nur dann Verantwortung tragen kann, wenn ich mich nicht auf das Mantra der Reue zurückziehe, das vielerorts von ‚Aussteigern’ erwartet wird: Sozialromantik die in einer RTL-Reportage auf die Tränendrüse drückt — wieder ein verlorenes Schäfchen gerettet… Ich glaube nicht, dass selbst die aufrichtigste Entschuldigung tatsächlich mehr bewirkt als ein wohliges Gefühl der betroffenen Parteien. Nichts, das über eine gewisse Genugtuung hinausgehen würde. Womit nicht gesagt ist, dass es nicht eine wichtige Stufe im Verarbeitungsprozess für Opfer oder Täter sein kann. Entschuldigung allein macht jedoch nichts ungeschehen, befreit nicht von der Verantwortung für die Taten. Ausstieg heißt deshalb nicht einfach, dass man sich aus der Szene zurückzieht und bedarfsweise öffentlich für Gewalttaten oder ähnliches um Entschuldigung bittet. Wobei ohnehin nie klar ist, inwiefern Freispruch von den Sünden der Vergangenheit erfolgt, Gnade gewährt wird. Ich habe keinen Respekt vor Personen, die sich im Reuegebet durch die Medien schleifen lassen, um als weiteres Exemplar des Stereotyps „Aussteiger“ medial zur Schau gestellt zu werden. Gerade weil dieser Titel so inflationär jedem ‚Ehemaligen’ angedichtet wird, ist er suspekt.

Weder kann ein Rückzug aus der Szene als Ausstieg gelten, noch eine öffentliche Distanzierung mit der Bitte um Absolution. Gerade die öffentliche Distanzierung obschon ungleich gefährlicher für Betroffene ist nicht ausreichend und wirkt zudem oft wie ein verzweifelter Versuch durch eine reuevolle Geste Unmögliches zu ermöglichen: etwas Geschehenes ungeschehen zu machen. Diverse Philosophien und Glaubensrichtungen stimmen im Kern der Pointe des folgenden Gebetsspruchs zu: „Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“ Meine atheistische Lesart dieses Satzes lautet: Ich kann nicht Rückgängig machen, was ich in der Vergangenheit getan habe, noch mich darauf zurückziehen, dass ich keine andere Wahl hatte, heute aber alles anders machen würde, wenn ich könnte. Jeder Moment ist unwiederbringlich verloren, genauso wie jedes Leben, das man nimmt, jede Chance, die man verpasst. All diese ‚Was-Wäre-Wenn-Spielchen’ führen zu nichts, außer sich der eigentlichen Verantwortlichkeit für seine Handlungen zu entziehen und sich eine neue Opferrolle anzudichten. „Schwere Kindheit, Perspektivenlosigkeit, die Juden sind schuld.“ Gerade aus solchen Entschuldigungsmechanismen muss ich ausbrechen, wenn ich nicht auf der Stelle treten will — same shit, different receiver.

Natürlich gibt es so etwas wie systemische oder strukturelle, sprich gesellschaftliche Voraussetzungen und Bedingungen, die an der Entscheidung sich als Christdemokrat_In, Umweltschützer_In, Nationalsozialist_In, … (hier beliebige Bezeichnungen einfügen) beteiligt sind. Jedoch sind die Entscheidungen gerade nicht auf diese Umstände zu reduzieren, sonst gäbe es überhaupt keine Verantwortung. Meine Kindheit und Schulbildung, finanziellen und soziale Möglichkeiten, all das bin ich und bin es doch nicht ausschließlich. Ich bin der kleine Spalt zwischen meiner Herkunft, all meinen Möglichkeiten und meinen Entscheidungen. Ich selbst verantworte mein Handeln und kann mich daher nicht auf Schicksal, Vorbestimmung oder Karma berufen, um von mir selbst abzulenken. Deshalb ist das Projekt „Ausstieg — (K)ein Weg zurück“ weder ein Akt bloßer Selbstdarstellung, noch eine verschleierte Bitte um Absolution und die Aufnahme in die große Familie der politisch Anerkannten oder anderweitig Geächteten. Vielmehr möchte ich mit dem Projekt engagiert gegen freiheitsfeindliche und rassistische Weltanschauungen eintreten und bin der Überzeugung, dass ich gerade aufgrund meiner politischen Vergangenheit einen wichtigen Beitrag in der Auseinandersetzung mit den unzähligen Varianten neonazistischer Gesinnung leisten kann.

Vielleicht meint man aufgrund des Untertitels zunächst, dass Ausstieg einen Weg zurück in die Gesellschaft, in das vermeintlich normale Leben bedeute und erkennt auch sofort die Doppeldeutigkeit der Klammersetzung: Ausstieg verbaut zugleich den Weg zurück in die Szene. Und ohne Zweifel muss Ausstieg mindestens das bedeuten: alle Brücken hinter sich abzureißen, indem man mit den alten Kameraden den Kontakt abbricht, sich kritisch mit seiner Weltanschauung auseinandersetzt, diese überwindet und Verantwortung dafür trägt, was man unterstützt hat, indem man sich auf verschiedenste Weise gegen die Strukturen und ideologischen Vorstellungen engagiert, deren Teil man war, die man ins Leben gerufen und propagiert hat und die nun weiterhin potentiell Menschenleben gefährden. Ideologie tötet. Aber die Ambivalenz des Untertitels verweist noch auf mehr als das: Gerade weil man sich ändern kann, ist es eben keinesfalls sicher, dass selbst jemand, der nicht nur einen Rückzug oder eine Distanzierung, sondern einen Ausstieg im angedeuteten Sinn durchgemacht hat, sich nicht erneut einer freiheitsfeindlichen Weltanschauung hingibt. Dieser Ungewissheit des Ausstiegs, zugleich die Möglichkeit für ein anderes, ‚normales’ Leben, aber auch die enorme Unsicherheit — ja mitunter Unmöglichkeit — eines ‚Neuanfangs’ zu sein, versucht der Untertitel durch die Klammersetzung gerecht zu werden. Vergessen wir dabei nicht, dass es das Normale tatsächlich weder gibt, noch geben sollte, da es überhaupt nur als starre Schablonen existieren würde, der Genüge zu tun, man sich bemühen mag, wie man will. Man endet doch als Karikatur. Ob man will oder nicht.

Der Drahtseilakt heute zu leben besteht vielleicht weniger darin sich auszuleben, als damit zufrieden zu sein, wie man lebt, oder — pathetischer formuliert — wirklich zu leben.