4. März 2015

Von Neonazis und einem unfreiwilligen Spendenlauf

Wie kann man Rechtsextremismus öffentlichkeitswirksam entgegentreten? Fabian Wichmann von der Aussteigerorganisation Exit im Gespräch über Mut, Humor und einen unfreiwilligen Spendenlauf.

Von Anne Hünninghaus für für Pressesprecher.com

Jedes Jahr im November marschieren Neonazis durch das fränkische Wunsiedel, um dem Tod des dort begrabenen Rudolf Heß zu gedenken.

Doch im vergangenen Jahr war alles ein bisschen anders: Es gab eine Ziellinie, buntes Konfetti auf braunem Grund und jede Menge Anfeuerungsrufe. Hinter der ungewöhnlichen Rahmung der Demonstration steckte die Organisation Exit Deutschland. Ohne das Wissen der Beteilig¬ten wurde Geld eingesammelt und der Trauermarsch kurzerhand in einen Spendenlauf umfunktioniert: Für jeden Meter, den die Nazis liefen gingen zehn Euro an das Aussteigerprogramm. Wir haben mit Fabian Wichmann, einem der Initiatoren, über die Aktion gesprochen.

Herr Wichmann, welchen Stellenwert hat eine ¬aufmerksamkeitserregende Öffentlichkeitsarbeit für ¬Organisationen wie Ihre?

Fabian Wichmann: Sie ist für uns im doppelten Sinne elementar. Zum einen auf der existenziellen Ebene. Exit Deutschland ist trotz staatlicher Förderung auf eine Kofinanzierung angewiesen, um Mittel für die Bundesfinanzierung zu bekommen. Da wir ein relativ kleiner Träger sind, müssen wir diese über Spenden generieren. Darüber hinaus ist die Öffentlichkeitsarbeit aber auch wichtig, um transparent zu sein, und Interessierten zu zeigen, wie wir arbeiten. Hinzu kommt der strategische Aspekt in Bezug auf die Szene direkt, die Auseinandersetzung mit dem Ausstieg. Die Kommunikation an dieser Stelle ist für uns ein Kernaspekt. Schließlich klingeln wir nicht bei den möglichen Aussteigern an der Tür, sondern erwarten, dass sie zu uns kommen.

Für die Aktion „Rechts gegen Rechts“ haben Sie in Deutschland viel Zuspruch erhalten. Was war das Ziel des „unfreiwilligen ¬Spendenlaufs“?

Wir wollten die Wahrnehmung für unser Projekt stärken, darüber hinaus eine alternative Umgangsweise mit Demonstrationen zeigen und im klassischen Sinn Fundraising betreiben. Der pädagogische Effekt ist es, den Neonazis einen Selbstwirksamkeitsmechanismus zu präsentieren: Ihr haltet eine Demonstration ab, okay, das ist freie Meinungsäußerung, euer verbrieftes Recht. Aber wenn ihr das macht, hat das einen Preis. Die Spenden wurden zwar nicht von den Demonstranten geleistet, sie hatten jedoch die Verantwortung dafür, dass sie freigegeben werden. Der Witz und die Ironie, die zusätzlich durch die Banner und das Video hinzukamen, hatten auch zum Ziel, dass das Thema leichter wirkt. Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus muss nicht immer so verbissen und verkrampft sein und auch nicht auf Eskalation hinauslaufen.

Bereits 2011 erregte Exit Aufsehen mit einer trojanischen Aktion: Sie schmuggelten damals T-Shirts mit Totenkopf und „Hardcore“-Schriftzug an Verkaufsstände für Neonazis. Nach der ersten Wäsche war das Motiv abgeblättert, stattdessen erschien der Aufruf: „Was dein T-Shirt kann, kannst du auch“, darunter das Exit-Logo. Was war hier der Hintergedanke?

Das T-Shirt diente tatsächlich zur direkten Ansprache von Neonazis. Natürlich steigt niemand wegen eines solchen Aufdrucks aus. Aber die Idee war, sich zu zeigen, ein Label zu bieten. Wenn die Person dann ein paar Jahre später überlegt, etwas zu ändern, auszusteigen, erinnert sie sich vielleicht daran und denkt etwas wie: „Da gab es eine gewisse Ironie, so übel können die nicht sein“. Auch hier spielte das subversiv-konfrontative Moment eine entscheidende Rolle. Das bedeutet, man erzeugt über ein „trojanisches Pferd“ Aufmerksamkeit, legt die eigentlichen Inhalte dahinter und bricht damit Erwartungshaltungen. So haben wir beispielsweise auch einmal Fly¬er mit einem Reichsadler und dem Schriftzug „Deine Freiheit, die es zu verteidigen gilt“ bedruckt und zwischen anderen, einschlägigen Flyern herausragen lassen. Erst bei näherer Betrachtung wurde deutlich, dass der Text darauf der eines Aussteigers aus der Szene ist. Wir greifen also bestimmte Wahrnehmungsmuster auf, um diese dann zu konterkarieren.

Als die Neonazis den Flyer entdeckten oder das Shirt aus der Waschmaschine holten, waren Sie nicht dabei. Beim „Spendenlauf“ haben Sie jedoch am Rand gestanden. Hatten Sie die Befürchtung, dass jemand ausrasten könnte?

Wir haben im Vorhinein viel darüber diskutiert, waren uns aber einig, dass die Wahrscheinlichkeit relativ gering ist. Die Frage war eher, ob die Plakate kaputt gemacht werden. Unser Rückschluss war, dass die Neonazis vermutlich die Scheuklappen aufsetzen, über jegliche Eskalation hätten sie schließlich nur die von uns gestaltete Szenerie aufgewertet. Hinzu kommt der Anlass. Aus ihrer Perspektive war das ein Trauermarsch, da gibt es klare Anweisungen – kein Alkohol, keine Gespräche, keine Provokationen. Von daher waren die Voraussetzungen für die Aktion sehr günstig. Wir hatten aber auch ein Sicherheitskonzept.

Sind Sie von einem der Mitlaufenden angesprochen worden?

Nein, ich habe mich während der Demo, um die Aktion zu verfolgen, nicht zu erkennen gegeben. Generell gab es von ihnen relativ wenige Reaktionen. Ein Journalist hat aber jemanden sagen hören, „Jetzt haben wir hier die Kohle für den Scheißverein Exit erlaufen“. Aber es ist bei diesem verbalen Angriff geblieben. Die meisten haben versucht, die Aktion auszublenden. Im Anschluss an ihren Marsch haben die Demonstranten im Internet Fotos veröffentlicht, da war keines dabei, wo auch nur der Zipfel eines unserer Banner zu sehen gewesen wäre …

Wie haben sich die Wunsiedeler verhalten? Wurden die Anwohner vorher über die Aktion informiert?

Nein, außer unseren Bündnispartnern vor Ort wusste niemand Bescheid, nicht einmal die Polizei oder der Bürgermeister waren eingeweiht. Erst am selben Morgen wurden einige Leute in die Vorbereitungen eingebunden. Nun muss man aber auch wissen, dass die Demostrecke durch eine ziemlich ausgestorbene Gegend führt und nicht durchs Zentrum des Örtchens hindurch. Trotzdem sind die Wunsiedeler den jährlich stattfindenden Marsch natürlich ziemlich leid. Die meisten hatten es aber schon aufgegeben, sich dagegen einzusetzen und kapituliert. Als unser Plan dann langsam durchsickerte, fanden die Anwohner das sehr spannend und haben uns absolut positive Rückmeldung gegeben.

10.000 Euro wurden „erlaufen“. Wie ist das Geld zusammengekommen?

Am Ende waren es dann 20.000 Euro. Die eine Hälfte der Spenden wurde im Vorfeld eingesammelt, die andere danach und beim unfreiwilligsten Spendenlauf über das Internet. Zum größten Teil kamen sie aus dem lokalen Raum, sowohl von Firmen als auch von Privatpersonen. Wir haben die Menschen vor Ort angesprochen. Für die konkrete Umsetzung der Aktion hatten wir insgesamt fünf Wochen. Am Ende wurde die Zeit zum Spendensammeln ziemlich knapp, da sind wir ein bisschen nervös geworden. Schließlich läuft das wie beim Pokern; mitspielen kann nur, wer über einen Einsatz verfügt.

Haben sich die beteiligten Unternehmen ihre Unterstützung für PR-Zwecke zunutze gemacht?

Die wenigsten. Eine Firma verschickte Weihnachtskarten in denen sie ihre Kunden wissen ließ „Wir haben für Sie gespendet“. Das fand ich ganz geschickt. Aber ich glaube, die meisten hatten anfangs auch gar nicht damit gerechnet, dass die Aktion so viel Aufmerksamkeit generiert.

Ja, der Spendenlauf wurde medial stark aufgegriffen. Liefert das positive Feedback in Ihren Augen einen Hinweis, dass wir hierzulande generell einen anderen Umgang mit solchen Demos finden sollten? Einen, der mehr auf Spott setzt, auf Humor?

Ich denke, das ist immer situationsabhängig. Wir hatten in letzter Zeit beispielsweise viele Anfragen aus Dresden, ob man etwas Ähnliches nicht auch gegen Pegida starten könne. Doch das ist kompliziert. In Wunsiedel hatten wir es mit einer sehr homogenen Gruppe zu tun. Bei Pegida wäre das schwieriger. Grundsätzlich denke ich aber schon, dass wir mit mehr Humor, der von den Demonstrierenden getragen wird, arbeiten sollten. Dabei geht es nicht darum, die Menschen lächerlich zu machen.

Nicht? Das habe ich als Außenstehende definitiv als einen Aspekt wahrgenommen. Gerade wie die Webseite und das Video aufgemacht sind, habe ich es so empfunden, dass eine Gruppe hier der Lächerlichkeit preisgegeben wird.

Naja, wir möchten eher konterkarieren. Den Anlass, diesen Trauermarsch, seiner eigentlichen Bedeutung entheben und damit die Situation für den Betrachter leichter machen. Natürlich ist darin auch ein gewisser Witz enthalten. Aber unser primäres Ziel ist nicht: Wir lachen jetzt mal eine Stunde lang über Nazis und dann ist das Problem gelöst. Humor steckt natürlich schon in der Idee, das ist für ihren Transport auch ganz wichtig. Die Aktion war für uns ein bisschen wie Straßentheater: Die Inszenierung war da, aber wir haben den Rahmen neu konstruiert.

Gibt es schon viele Nachahmer?

Ja, mit einigen stehen wir auch in Verbindung. In Weißenfels wurde das Prinzip auf einen „Spendenlauf“ für Flüchtlinge übertragen, auch in anderen Städten wurde es aufgegriffen. Diese Mechanik findet Anklang. Wobei es natürlich auch auf einige wie eine Mechanik der Hilflosigkeit wirkt. Wir sehen das aber eher so: Man kann die Dinge nicht ändern, aber versucht, sie ins Produktive zu drehen.

Würden Sie „Rechts gegen Rechts“ als mutige Aktion bezeichnen?

Ich fand es sehr mutig von den lokalen Akteuren, den Bündnispartnern vor Ort und den Engagierten, die eigentlich mit dem Thema nichts zu tun haben. Von denen, die Angst hatten, dass die Aktion auf sie persönlich zurückfällt. Dass sie vor Ort oder im Nachhinein angegriffen werden.

Gerade den Dingen mit Humor zu begegnen, sich über Ideologien lustig zu machen, birgt eine besondere Provokation. Das wurde in den vergangenen Wochen, nicht zuletzt durch die Geschehnisse in Paris, immer wieder deutlich.

Spott kann als eine Erniedrigung empfunden werden aber auch ein Impuls für Veränderung sein, man kann vorher kaum einschätzen, wie die Reaktion darauf sein wird. In unserem Feld hat man da vielleicht eine Art Berufsblindheit. Grundsätzlich ist die Frage nach Angst so eine Sache. Antwortet man, man habe keine Angst, kann das eine Aufforderung sein, wenn man sagt, man habe welche, eine Bestätigung. Beide Antworten sind also irgendwie zur selben Zeit falsch wie richtig.

Welche Reaktion haben Sie von Aussteigern bekommen?

Die waren gemischt. Einige fanden die Aktion witzig und gelungen. Grundsätzlich wurden aber auch Aussteiger in die Konzeptionierung eingebunden. Einer war auch bei der Ideenfindung dabei.

Was bedeutet Mut für Sie?

Diese Frage habe ich mir tatsächlich selbst einmal ganz konkret gestellt. Ich habe eine Zeit lang darauf geachtet, dass entweder mein Name oder mein Bild in den Medien auftaucht – nicht aber beides zusammen. Auch in den sozialen Netzwerken habe ich versucht, mich als Person zu schützen. Irgendwann fand ich das falsch. Auf der einen Seite politisches Engagement zu fordern und mich dann aber nicht mit meinem Gesicht zu zeigen, das passt für mich nicht zusammen. Werte wie Transparenz, die ich von anderen einfordere, möchte ich auch selbst vertreten. Ich kann mich nicht zurückziehen, ängstlich sein und Mut als Schwarzen Peter jemand anderem, wie den lokalen Bündnissen, zuschieben, weil ich selbst davor zurückschrecke. Wenn man sich für etwas einsetzt, dann muss man auch voll dahinter stehen. Vielleicht ist das Mut.

Und hat sich seither etwas geändert? Sind Sie mehr persönlichen Anfeindungen ausgesetzt als vorher?

Nein, eigentlich nicht.

Ist Mut für Sie gleichbedeutend mit Courage?

Nein, das sind zwei unterschiedliche Dinge. Mut beschreibt vielleicht eher noch eine potenzielle Gefährdung, die man bewusst in Kauf nimmt. Couragiert kann man in verschiedenen Formen sein, man kann beispielsweise auch einfach couragiert anpacken, ohne eine subjektiv empfundene Gefahr. Zu Mut gehört vielleicht diese gewisse Angst. Die ist nicht unbedingt negativ, doch sie lässt anders bewerten, strukturieren und wahrnehmen. Ich glaube, man kann aber auch couragiert mutig sein.

Erschienen bei Pressesprecher.com

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