Grußwort zu #EXIT20 von Maarten von de Donk

Erst seit Ende der 90-er Jahre des 20. Jahrhunderts gibt es Ausstiegsprogramme in Europa. Was mit Einzelprojekten in der Ausstiegsarbeit anfing, ist mittlerweile in vielen EU-Mitgliedstaaten Teil einer Strategie, um Extremismus jener Ideologie zu bekämpfen. Mit 20 Jahren ist Exit-Deutschland eine der ältesten Ausstiegsinitiativen Europas. Obwohl Existenz für sich genommen noch kein Erfolg ist, hat diese Kontinuität beträchtliche Vorteile. Wo anderswo bei kurzfristigen Projekte Kenntnisse nach deren Einstellung verlorengingen, hat sich hier die Chance eröffnet, aus Erfahrungen zu lernen und diese in Form von Methodiken fortlaufend für die Begleitung von Aussteigern nutzbar zu machen.

Die über die Jahre aufgebaute Expertenrolle ist gerade jetzt wichtig, da in Deutschland sowie in anderen EU-Ländern Rechtsextremismus wächst. Klar braucht man, um diese Entwicklung zu kontern, auch Initiativen in der Präventionsarbeit, die in der allgemeinen Bildungsarbeit tätig sind oder mit Radikalisierungsaffinen arbeiten, um Einstiege in solche Gruppen zu verhindern. So lange es aber einen neuen Zuwachs gibt und Menschen sich in extremistischen Kreisen bewegen, bleibt Ausstiegsarbeit aber notwendig. Deutschland ist hier im europäischen Vergleich gut aufgestellt mit relativ vielen Ressourcen und langfristige Erfahrungen, wie unter anderen Exit-Deutschland und kann damit als Beispiel dienen. Übrigens gilt diese Beispielsrolle nicht nur in Bezug auf den Rechtsextremismus, sondern auch phänomenübergreifend. Das hat sich gezeigt bei der Gestaltung der Ausstiegsprojekte für Islamistischen Extremismus während der letzten Jahre. Obwohl sich die Art der Radikalisierung in spezifischen Merkmalen und Handlungsformaten unterscheidet, gibt es auch Ursachen und Risiko- und Schutzfaktoren, die fast identisch sind. Das trifft auch im Großen und Ganzen auch für der Arbeit mit Personen zu, die aussteigen und ein neues Leben anfangen wollen. Innerhalb der Arbeitsgruppe Exit des Radicalisation Awareness Network hat Exit-Deutschland sich aktiv beteiligt und war immer bereit, seine Expertise zu (De-)Radikalisierungsprozessen mit den Ausstiegsprojekten anderer EU-Mitgliedstaaten zu teilen.

Die eigentliche Erfolgsgeschichte von Exit-Deutschland ist, dass man nach 20 Jahren noch immer einen guten Ruf hat bei der Zielgruppe und ihrem Umfeld (Ehemann/frau, Familie, usw.). Personen, die die rechtsextreme Szene verlassen wollen, finden ihren Weg zu Exit-Deutschland. Es ist eine ständige Herausforderung, um einerseits glaubwürdig zu bleiben für potentielle Teilnehmer und gleichzeitig die Umstände, in denen sie leben/verkehren in Frage zu stellen. Ein frontaler Angriff gegen den Rechtsextremismus oder eine Aktionsgruppe würde vielleicht die Sympathie der Gesellschaft einbringen, wäre aber kontra-produktiv bei denjenigen, die extremen Gruppen zugehören und zwar schon Zweifel haben, aber auch noch ein Gefühl von Gruppensolidarität. Anderseits soll klar sein, was das Ziel von Exit-Deutschlands ist: Ausstieg und eine neues Leben beginnen.
Die Kampagnen wie das Trojaner T-Shirt und Rechts gegen Rechts sind gute Beispiele dafür, wie man Rechtsextremisten im (multi-)medialen Bereich einen Denkzettel verpasst und gleichzeitig auf die Existenz von Ausstiegsprogramme hinweist, ohne Personen zu attackieren. Dies führt vielleicht nicht gleich zu einer Kontaktaufnahme, aber auf jeden Fall eröffnet es die Möglichkeit, sich zu melden.

Manche Ausstiegsprogramme sind gescheitert, da sie nicht das Vertrauen der Zielgruppe gewinnen konnten. Dafür können verschiedene Gründe als Ursache gefunden werden: Versprechen, denen nicht nachgekommen werden konnte, Unklarheit über die Zusammenarbeit mit Sicherheitsdiensten und Polizei, kein Anschluss an die Gedanken- und Gefühlswelt der extremen Szene. Auch hier hat Exit-Deutschland sich über die Jahre zuverlässig gezeigt. Ein Teil dieses Erfolgs hat ohne Zweifel damit zu tun, dass mit ehemaligen Extremisten gearbeitet wird, die verstehen, was in den Aussteigern vor sich geht, im Umgang mit ihnen wissen, worauf es ankommt und mit ihrer persönlichen Biografie ein gutes Beispiel sein können. Aber gleichwichtig ist, methodisch gut aufgestellt zu sein, um die Betreuung professionell durchzuführen.

Die rechtsextreme Szene, die der Exit-Mitgründer Ingo Hasselbach damals verlassen hat, gibt es nicht mehr oder sie hat sich zumindest so geändert, dass nicht alle Ansätze und Methoden aus 2000 noch von Nutzen sind. Um auch für künftige Aussteiger im Ausstiegsprozess ein guter Partner zu sein, ist es wichtig, neue Umstände sowie die wachsende Aktivität im Online-Bereich im Auge zu behalten und das wieder übertragen zu können auf die individuellen Bedürfnisse der Zielgruppe. Diese Flexibilität hat Exit-Deutschland gezeigt, und das wird auch wichtig bleiben. Eine andere bleibende Herausforderung ist das fortlaufende Professionalisieren der Ausstiegsarbeit. Europaweit hat man im Moment große Erwartungen an die Projekte, und es ist viel mehr Geld vorhanden als damals im Jahr 2000. Das führt oft zur kritischen Fragen der Gesellschaft, der Presse und der Politik, vor allem dann, wenn ein/r ehemalige/r Extremist/in wieder aktiv wird. Fragen der Wirksamkeit, die auch Ausstiegsprogrammen immanent ist, werden in zunehmendem Maße zur Evaluation der Effektivität der Interventionen, der Weiterentwicklung der Methoden und der professionelle Selbstreflektion führen. Mit ihrer langjährigen Erfahrung kann die Initiative Exit-Deutschland im eigenen Land, aber auch in der EU einen wichtigen Beitrag liefern.

Ich gratuliere Exit-Deutschland, den Gründer Bernd Wagner und Ingo Hasselbach, den Fachkräften und den bisherigen und gegenwärtigen Aussteigern zu dieses Jubiläum.

Beim Geburtstag einer Person wünscht man danach auch immer noch viele Jahre. Das ist paradox bei einer Organisation, die ein gesellschaftliches Phänomen bekämpft, von dem man hofft, dass es bald nicht mehr existiert. Leider sind die Perspektiven dafür beim Rechtsextremismus nicht sehr günstig.

Vor diesem Hintergrund wünsche ich Ihnen noch viele Jahre beispielhafte und erfolgreiche Ausstiegsarbeit.

Maarten von de Donk
Leitender Berater und Trainer bei RadarEurope