2. März 2016

Norma-Jean Wolff: Rückblicke in einer neuen Zeit

Gewisse Anlässe bringen uns Menschen dazu, über uns und den Verlauf unseres Lebens nachzudenken. Was habe ich bis jetzt erreicht? Was war gut? Was war schlecht? Was will ich noch erreichen?

Mir ging es lange Zeit nicht so, da es viele Dinge in der Vergangenheit gibt, die ich am liebsten vergessen würde. Nur musste ich lernen, dass sich vergangenes nicht vergessen lässt. Selbst wenn man selbst vergisst, andere tun es nicht. Nun bin ich kurz vor meinem 24.Geburtstag und ich denke, es ist Zeit, mit mir selbst und anderen ins Reine zu kommen.
Ich war ungefähr 14, als ich in die rechte Szene kam. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Osten, wo sich die Dinge damals noch anders drehten, lernte ich ohne danach zu suchen, Menschen aus der rechtsextremen Szene kennen. Sie gehörten damals dazu, jeder kannte einen “von denen”. An dieser Stelle möchte ich meine Mutter zitieren, die einmal zu mir sagte: “Du wolltest immer schon etwas Besonderes sein.” Ja, ich denke, im Prinzip war es die Sehnsucht, anders zu sein als andere, die mich damals zur dieser Szene und der dort von mir gesehenen Faszination führte. Eigener Kleidungsstil, geheime Treffen und Konzerte, eigene Musik und das alles im Kreis von “Auserwählten”- das alles hatte etwas Magisches für mich. Und es lag auch einfach an mangelnden Alternativen, mich für einen anderen Weg zu entscheiden.
Mein 14-jähriges Ich war einfach zu naiv, zu dumm, um zu begreifen, auf was für eine Reise es sich begibt. Diese Zeit war wie ein Drogenrausch, man weiß, irgendwas ist nicht richtig, aber man will mehr davon und irgendwann kann man nicht mehr aufhören. Aber ich war noch nie von allen Facetten dieser Szene angetan, besonders mit Menschen aus der Skinheadszene konnte ich mich nie identifizieren. Wer meinen Werdegang kennt, weiß, dass ich oft im Namen “Autonomer Nationalisten” unterwegs war. Ich blendete einfach viel aus, sagte mir, so bist du nicht, so sind nicht alle. Letztendlich war es aber genauso, egal ob Skinhead, Autonomer, NPDler, sie alle stehen für dieselbe menschenverachtende Ideologie- nur in einer anderen Verpackung.

So kam es, dass ich oft innerhalb der Bewegung aneckte. Ich erinnere mich an zahlreiche Diskussionen mit anderen, warum Homosexualität verboten werden müsste und warum Gewalt an Andersdenkende notwendig sei, die oft mit der Frage endeten: “Was willst du eigentlich hier?” Es gibt keinen direkten Auslöser, keinen Tag X. Ich denke es war ein langer Prozess, der dazu führte, dass ich mir selbst genau diese Frage stellte. Zu oft habe ich mit meinem Gewissen gedrungen, mir Ereignisse schöngeredet, bis ich endlich zum Schluss kam: Ich gehöre nicht hier her.
Aber bis ich tatsächlich endlich den Weg raus gefunden habe, sollten noch Jahre vergehen. Ich sollte einmal aussteigen, mich von allem trennen, um dann in eine tiefe Depression zu fallen. Mit einem Schlag war nichts mehr wie es war, Freunde hatte ich außerhalb dieser Szene nicht, was mir blieb war ein Scherbenhaufen. Ich war zu schwach und ging zurück. Ich sollte einmal durch die Hölle einer Partnerschaft gehen, die geprägt war von Gewalt und Alkohol und ich sollte die wertvollste Erfahrung machen, die eine Frau machen kann: ein Kind gebären. Mit dem Wissen, nicht nur noch für mich Verantwortung zu tragen, habe ich es geschafft, endlich diesem Sumpf aus Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit zu entkommen.
Ich blicke nun, so kurz vor meinem Geburtstag, also zurück, auf die Fehler, die ich machte, die falschen Entscheidungen. Aber auch auf die Entwicklung eines naiven Mädchens, das auf Umwege doch noch den richtigen Weg gefunden hat.