22. Dezember 2023

Jahresrückblick 2023

2023 war für uns wieder ein Jahr intensiver Aktivitäten. Mit diesem Jahresrückblick möchten wir einen Überblick über unsere vielfältigen Aktivitäten, Projekte, Initiativen und Publikationen geben. Dabei handelt es sich wie immer nur um einen Auszug der Aktivitäten.

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Ausstiegsarbeit Rechtsradikalismus

Im Jahr 2023 haben wir im Jahresverlauf 85 Personen aus rechtsradikalen und damit verbundenen Kontexten im Ausstieg begleitet. Viele Unterstützungsfälle wurden wegen der politischen, rechtlichen und sozialen Komplexität fortgesetzt, darunter bis in das ultra-militante Segment hinein. Neu an uns gewandt haben sich 36 Personen, die in diesem Jahr in die Ausstiegsbegleitung aufgenommen wurden. Darunter befinden sich auch neu 8 Frauen zum Teil mit Kindern. Seit Beginn unserer Arbeit im Jahr 2000 sind es insgesamt 959 Menschen, die wir beim Ausstieg unterstützt haben.
Ausgestiegen Personen haben sich auch im Jahr 2023 öffentlich gegen rechtsextreme Bestrebungen ausgesprochen und vor allem jungen Menschen Orientierungen gegeben, sich nicht von rechtsextremer Ideologie vereinnahmen zu lassen.

Jahresbeginn am Polarkreis

Das Jahr begann mit dem RAN Practitioner Exchange Programme, einem Austausch unter Praktikern zwischen Deutschland und Finnland (Kare Ry & Exit Finland), an dem ein Mitarbeiter von EXIT-Deutschland teilnahm. Ziel des Programms war es, die Arbeitsweise der Kollegen in Finnland besser kennenzulernen und neue Perspektiven auf die täglichen Herausforderungen zu erhalten. Drei intensive Tage in Lappland konzentrierten sich auf Deradikalisierung, Ausstiegsarbeit und spezifische Techniken der Kunsttherapie und Lebensberatung in einer extremen Umgebung mit dem Fokus auf der möglichen Übertragung dieser Praktiken in die Ausstiegsarbeit sowie der Erkundung ihrer Anwendbarkeit als Erfahrungsraum für Klienten. Im zweiten Teil des Austauschs in Helsinki mit den Kollegen von Exit-Finnland wurden Einblicke in deren Ansatz und Arbeit gewonnen. Es wurden Fragen zur Zielstellung der Arbeit in Finnland sowie die unterschiedlichen Voraussetzungen und Praktiken erörtert. Vor unserem Besuch in Finnland hatten die finnischen Kollegen die Möglichkeit, sich einen Eindruck über die Arbeit von EXIT-Deutschland zu verschaffen. Ein ausführlicher Bericht findet sich hier.

Bericht zum Besuch in Finnland
Bericht zum Besuch in Deutschland

Kunst, Kultur, Ausstellungen und Gedenkstättenpädagogik

Parallel dazu begann das Jahr für uns in Deutschland mit zwei angenehmer temperierten Terminen. Die Ausstellung „Haut, Stein“ war bis Januar 2023 im NS-Dokumentationszentrum Köln zu besichtigen. Im März und April 2023 hatte die Ausstellung einen Zwischenstopp im ehemaligen Obergruppenführersaal der Wewelsburg . Begleitet von einer Podiumsdiskussion bot die Ausstellung Einblicke in die Arbeit von EXIT-Deutschland sowie die individuellen Wege von Ausgestiegenen aus der rechtsextremen Szene. Die künstlerische Arbeit „Haut, Stein“ von EXIT-Deutschland und Jakob Ganslmeier setzt sich mit dem Ausstieg ehemaliger Neonazis auseinander und wirft Fragen zur Bewältigung der deutschen Nachkriegsgeschichte auf.

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Mit diesen Themen befasste sich auch das diesjährige Treffen des Aktionskreises Ehemaliger Extremisten / EXIT-Deutschland im Juni in der Gedenkstätte Buchenwald. Hier fand ein intensiver Austausch zu Themen wie Antisemitismus, historische Verantwortung und der individuellen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus statt.

Besuch in Buchenwald: Eine emotionale Reise durch die Geschichte

Der Besuch in der Gedenkstätte Buchenwald war eine zentrale Aktivität des Aktionskreises im Jahr 2023. Die Teilnehmer erlebten eine intensive Auseinandersetzung mit den Grausamkeiten des Nationalsozialismus. Der Rundgang durch das ehemalige Konzentrationslager ermöglichte nicht nur einen historischen Einblick, sondern auch eine persönliche Reflektion über die eigenen Entscheidungen und die Verantwortung vor dem Hintergrund der Geschichte.

In einem Vorbereitungstreffen wurden die biografischen Erfahrungen der Ausgestiegenen sowie ihre Bezüge zum Nationalsozialismus und zum Thema Antisemitismus diskutiert. Der Nationalsozialismus war für sie während ihrer Zeit in der Szene identitätsstiftende Erzählung. Dazu gehörte auch die Relativierung oder Leugnung des Holocausts. Eine Auseinandersetzung mit den in der rechtsextremen Szene präsenten Erzählungen fand in ihrer aktiven Zeit jedoch nie statt. Sie wurden einfach übernommen und nie hinterfragt. Für einige war es das erste Mal, dass sie eine Gedenkstätte besuchten und sich fernab von leugnender oder relativierender Propaganda intensiv mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten auseinandersetzten. Ein Teilnehmer reflektierte das Treffen folgendermaßen: „Als Resümee kann ich sagen, dass mir die Fahrt im Sinne der Aufarbeitung meiner Vergangenheit in vielen Belangen ein ganzes Stück weitergeholfen hat. Ich hätte mir gewünscht, dass ich diese Erfahrungen schon vor 20 Jahren hätte machen können.“

Über EXIT-Deutschland Ausgestiegene setzen sich intensiv mit ihrer Vergangenheit auseinander. Bereits vor über 10 Jahren ist dazu die Ausstellung „EXIT. Bilder und Texte von Rechtsextremen im Ausstieg“ entstanden, die im Juli dieses Jahres im Rahmen der Elblandfestspiele Wittenberge zu sehen war.

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Die Ausstellung hat viele Besucher neugierig gemacht und das zusätzlich bereitgestellte Informationsmaterial von EXIT-Deutschland wurde gut angenommen.
Besonders gefreut hat uns auch die Rückmeldung des Bürgermeisters der Stadt Wittenberge, Dr. Oliver Hermann: „Ich freue mich, dass die diesjährige Festspielwoche der Elblandfestspiele, die mit vielen Angeboten an den Wittenberger Schwanenteich lockte und auf ein tolles Echo bei den Wittenbergern und Gästen stieß, auch dafür genutzt wurde, schwierige Themen anzusprechen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Fotoausstellung des Vereins Exit Deutschland zum Thema Rechtsextremismus, die im Rahmen des Events gezeigt wurde.“

Podiumsgespräche und Öffentlichkeitsarbeit

EXIT-Deutschland leistete auch in diesem Jahr wieder politische Aufklärungsarbeit. So fand zum Beispiel am 9. November im Gymnasium Theodorianum in Paderborn ein Podiumsgespräch und Workshops am folgenden Tag statt. Hier berichtete Maik Scheffler von seiner persönlichen Radikalisierung und seinem Ausstieg. Die Veranstaltung bot einen Einblick in die Radikalisierungsmechanismen im Rechtsextremismus. Neben dieser Veranstaltung fanden weitere interessante Abendveranstaltungen, etwa zum Thema „Raus aus der rechten Szene – Wie kann das gelingen?“ in Kassel statt, sowie nationale und internationale Workshops oder Konferenzen unter Beteiligung von EXIT-Deutschland.

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Videopodcasts und EXOR-Projekt

Neben der Hilfe und dem Beratungsangebot für Menschen, die aus extremistischen Szenen und dieser ideologischen Gedankenwelt aussteigen wollen, unterstützen wir auch andere Träger, die in diesem Bereich tätig sind, tauschen uns mit ihnen aus und arbeiten mit ihnen zusammen. Dafür bereiten wir unsere Informationen in Form von Podcasts oder Publikationen auf und stellen sie so zu Verfügung.

Im November organisierten wir eine Veranstaltung, die wir als eine neue Folge unserer Video-Podcast-Reihe – dieses Mal zum Thema „Extremismus in Verbindung mit Organisierter Kriminalität“ festgehalten haben. In der Veranstaltung diskutierten wir Erfahrungen und Herausforderungen bei der Deradikalisierung von Personen, die aus ultramilitantem Extremismus und organisierter Kriminalität aussteigen, die Ökonomie dieser Gruppen sowie die gesellschaftlichen Implikationen in diesem Zusammenhang.

Ein Teil unserer EXIT-Arbeit befasst sich in 2023 und 2024 schwerpunktmäßig mit dem Thema „Extremismus in Verbindung mit Organisierter Kriminalität“. Hierfür erhalten wir eine Projektförderung durch das BMFSFJ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“.

Die Veranstaltung ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Forschung und Veröffentlichungen

Auch in diesem Jahr haben wir in mehreren Publikationen die Arbeit von EXIT-Deutschland und phänomenbereichsbezogene Entwicklungen beschrieben. Die Veröffentlichung „Ausstieg aus dem Extremismus – Zur Ausstiegsarbeit von EXIT-Deutschland“ von Ulrike Krause und Dr. Bernd Wagner bietet einen Einblick in die Entwicklung und Arbeit der Organisation seit ihrer Gründung im Jahr 2000. Die Autoren betonen, dass EXIT-Deutschland nicht auf Repression setzt, sondern auf die persönliche Begleitung und den Ausstiegsprozess fokussiert ist.

Krause, Ulrike; Wagner, Bernd; Ausstieg aus dem Extremismus – Zur Ausstiegsarbeit von EXIT-Deutschland, in: Theorie und Praxis der Jugendhilfe 39, Jahrgang 22, Björn Hagen (Hrsg.) Für Demokratie – gegen Rassismus und Diskriminierung. Analyse und Konzepte für die pädagogische Praxis. Publikation

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine hatte auch ideologische und extremistische Dimensionen. In dem Artikel wird die Rolle von rechtsextremen Gruppen und Akteuren auf beiden Seiten des Konflikts und deren Einfluss auf die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union betrachtet.

Wichmann, Fabian (2023) For Land and Race. The impact of the Russian war of aggression against Ukraine on P/CVE: VRWE fighters and VRWE dynamics. Publikation

Nach längerer Pause haben wir in diesem Jahr wieder unsere Reihe Blickpunkt Demokratie und Extremismus aufgenommen und sie in den Kontext unseres Projektes „EXOR“ gestellt. Der erste Teil zeichnet einen erweiterten Blick auf die Problematik Organisierte Kriminalität und Extremismus als ‚Extremistisch-Politisch-Kriminelle Komplexe‘, zieht historische Linien, geht auf Wesenheiten und Erscheinungsformen ein und beleuchtet den ‚Rechtsextrem-Kriminellen-Komplex‘ in Deutschland anhand aktueller Beispiele.

Wagner; Wichmann; Krause; Kuhne (2023): Blickpunkt Demokratie und Extremismus, Extremismus in Verbindung mit Organisierter Kriminalität Teil 1 – Aspekte zur Lage und Geschichte. Zentrum Demokratische Kultur, Berlin. Publikation

Der zweite Beitrag beschäftigt sich eingehender mit der Frage der Finanzierung politisch-missionarischer Ziele, wie sie durch extremistische Gruppen verfolgt werden. Politisch-missionarisches Handeln mit einem komplexen und professionell aufgezogenem Anspruch ‚revolutionärer‘ Veränderung übersteigt den Rahmen legaler Finanzierung, so dass extremistische Gruppen und Bewegungen auch auf illegalen Wegen und kriminelle Weise Geldquellen erschließen, die dem Aufbau und der Entfaltung des jeweiligen Missions- und Lebenssystems dienen.

Wagner; Wichmann; Krause; Benneckenstein (2023): Blickpunkt Demokratie und Extremismus, Extremismus in Verbindung mit Organisierter Kriminalität Teil 2 – Zur Ökonomie Extremistisch-Politisch-Krimineller Komplexe. Zentrum Demokratische Kultur, Berlin. Publikation

Mehr Publikationen finden sich in unserer Mediathek und im Journal EXIT-Deutschland. Das Journal EXIT-Deutschland (JEX) ist eine regelmäßig erscheinende Zeitschrift im deutschsprachigen Raum für den wissenschaftlich interdisziplinären Austausch mit der Praxis über Deradikalisierung, Extremismus.

In den letzten 3 Jahren konnten viele Veranstaltungen und Aktionen für die Zielgruppenansprache nicht umgesetzt werden. In 2023 wurden verschiedene Ideen wieder aufgegriffen, von denen wir die eine oder andere im kommenden Jahr finalisieren wollen.
EXIT-Deutschland wünscht allen Partnerorganisationen, befreundeten Netzwerken und unserer Arbeit zugetanen Personen einen guten Rutsch in das neue Jahr und möchten Euch herzlich danken, dass Ihr die Arbeit von EXIT-Deutschland wieder unterstützt habt, denn nur durch die Mithilfe von engagierten Menschen wie Euch können wir das Ausstiegsangebot kontinuierlich fortsetzen. Für 2024 sind wieder Projekte und Ideen in Planung, für deren Durchführung man eine gewisse Handlungssicherheit benötigt. Lasst Euch also überraschen!

Über unsere weitere Arbeit informiert Euch gern wie immer auf unserer Homepage, in unserem Journal sowie in den Sozialen Medien.

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