7. Januar 2021

2020? Challenge accepted - Ein (möglichst) Corona-freier Jahresrückblick

Zugegeben: Auch unser Jahr wurde massiv durch die besondere Lage beeinflusst. Dennoch können wir auf Erlebnisse und Vorgänge zurückblicken, die trotz (oder wegen) Covid-19, respektive den daraus resultierenden Maßnahmen, gelingen konnten. Vor allem zu Anfang und Ende des Jahres konnten noch Veranstaltungen von nicht unerheblicher Relevanz durchgeführt werden.

Punktlandung

Besonders erwähnenswert ist an dieser Stelle der dreitägige Fachaustausch mit unseren Kollegen von EXIT-Australien im Januar, der im gesamten restlichen Jahr nicht mehr möglich gewesen wäre und somit unbewusst eine zeitliche Punktlandung darstellte. Die australischen Kollegen besuchten uns und unser Büro in Berlin, wir informierten über aktualisierte Standards oder Erfahrungen mit neueren Phänomenen für unsere konkrete Fallarbeit. Durch die Berichte wurden Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten der Arbeitsfelder zwischen den Kontinenten deutlich sichtbar.

Ebenfalls eine Punktlandung war – zeitlich wie örtlich – unsere Vortragsveranstaltung auf Einladung des LKA Berlin. In direkter Nähe zum Tempelhofer Feld und den alten Flughallen stellten Maik Scheffler und Fabian Wichmann unsere Arbeit vor und diskutierten diverse Fragen & Probleme rund um das Thema Ausstieg und Deradikalisierung.

Auf die sich zu Beginn des Jahres anbahnende Krise reagierten wir bereits frühzeitig, indem wir unsere Arbeitsabläufe schon vor offiziell ausgesprochenen Ausgangsbeschränkungen an die neue Herausforderung anpassten. Die Geschäftsführung der ZDK gGmbH wies die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frühzeitig auf eine Kontaktreduzierung hin und veröffentlichte wenig später diese, noch gültige, Information zu unserer Arbeit in Corona-Zeiten.

Locked & Down

Zweifelsohne bedrückend waren vor allem Absagen in der Mitte des Jahres: Etwa eine mit der Gedenkstätte Buchenwald geplante Beteiligung an den Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Mittelbau – Dora.

Unsere Ausstellung Haut.Stein – Under the Skin war fest begleitend eingeplant, ebenso die Beteiligung von EXIT-Mitarbeitern und Aussteigern an Podiumsveranstaltungen. Wir hoffen sehr, dass sich dies noch realisieren lässt. Vor allem die Bereitschaft für das direkte Aufeinandertreffen von ehemaligen Neonazis und Überlebenden des Holocaust wäre auch für uns eine komplett neue, enorm wichtige Erfahrung gewesen. Aber auch hier können wir mit einem Blick auf das kommende Jahr sagen: Wir haben 2021 einiges vor. Ihr dürft also gespannt sein.

Logo 20 Jahre EXIT-Deutschland

Die Feierlichkeiten zu 20 Jahre EXIT mussten in erster Linie umdisponiert werden. Uns war klar, dass wir das Jahr nach den gegebenen Möglichkeiten auch für eine Begehung des Jubiläums nutzen werden. Natürlich war eine große, zentrale Veranstaltung bereits bis in die letzten Details geplant, doch es gab (und gibt) ein breit gefächertes „Distanz-Angebot“. Nicht zuletzt die Jubiläums-Broschüre 20 Jahre EXIT-Deutschland, die einen Einblick in die Vielschichtigkeit unserer Arbeit und die Geschichte der Initiative bietet, ist alles andere als ein „Ersatzprogramm“. Denn: Dass wir unsere Arbeit bis heute umsetzen konnten, verdanken wir nicht zuletzt unseren Partnern und Unterstützern, die uns zur Seite stehen und unsere Arbeit begleiten, mittragen und auf vielfältige Weise unterstützen.

In der Broschüre kommen neben Felix Lobrecht, Udo Lindenberg oder Gerhart Baum 16 weitere Freunde und Unterstützer zu Wort – national wie international. 20 Jahre, in denen EXIT-Deutschland seinem Leitgedanken treu blieb: „zu helfen, ideologischen und politischen Verblendungen zu entfliehen und Verstrickungen in der Radikalität aufzulösen, sie aufzuarbeiten und Verantwortung in Freiheit zu übernehmen“, wie es Gründer und Leiter von EXIT-Deutschland Dr. Bernd Wagner formuliert.

Auch wenn wir unsere Jubiläums-Veranstaltung nicht umsetzen konnten, so war der Kalender nicht minder gefüllt. Klar fanden die meisten Veranstaltungen online statt, was Inhalt oder Qualität aber keinen Abbruch tat. Neben mehr als 90 Veranstaltungen, die durch Ausgestiegene oder Mitarbeiter unterstützt bzw. umgesetzt wurden – etwa für Stiftungen, Universitäten, Schulen und Initiativen – gab es fünf Kooperationsveranstaltungen mit Partnern wie CEP, VPN, FARN. Daneben setzten wir unser neues Video Podcast – Format Ausstieg & Deradikalisierung. Interaktiver Video-Podcast zum Thema Deradikalisierung und Ausstieg von EXIT-Deutschland um. Das Format soll auch perspektivisch praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Ansätze der Deradikalisierungs- und Ausstiegsarbeit zusammenbringen mit dem Ziel, Handlungsräume und Potentiale zu erörtern und für Praktiker im Feld zu erschließen. Ein besonderes Highlight war unsere Veranstaltungsreihe “Exploring the Multi-dimensional Role of Former Extremists in the Prevention, Intervention and Countering of Violent Extremism”. Über sechs Tage hinweg gestalteten wir, zusammen mit der Universität Victoria (Australien) und EXIT-Finnland einen Workshop, bei dem sich internationale Akteure aus Praxis und Wissenschaft über die Rolle, sowie Potenziale und Gefahren von Ehemaligen in der Prävention austauschten. Ein erster englischsprachiger Bericht kann hier gelesen werden.

Online: The new ‚normal‘

Nicht nur unsere Veranstaltungen brauchten eine neue Umgebung – Auch für unseren Wissenstransfer mussten wir neue Räume erschließen. Dafür wurde im April der Auftritt unseres Journals komplett überholt und nutzerfreundlicher gestaltet. Da der Berg bekanntlich nicht zum Propheten kommt, versuchten wir gleichzeitig, unser Angebot im Online-Bereich grundlegend auszubauen und fanden somit trotz eingeschränkter Möglichkeiten einen Weg, um Inhalte & unsere Arbeit präsentieren und Erfahrungen vermitteln zu können. Mit 27 Beiträgen von 20 Autorinnen und Autoren konnten durchschnittlich im Monat mehr als 700 Leser erreicht werden.

Leider erwischte der zweite Lockdown unsere Ausstellung Haut. Stein ein zweites Mal. Konnte die offizielle Eröffnung der Ausstellung mit Publikum und zunächst sogar Besuche unter den Bedingungen der damals geltenden Corona-Regeln umgesetzt werden, waren die Türen doch schnell wieder verschlossen. Interessierte mussten mit dem Online-Angebot der Zitadelle vorliebnehmen. Zusammen mit der Zitadelle setzten wir dennoch eine intensive und spannende Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung zum Thema Ausstieg um.

Mitte Oktober nahm auf Einladung des Kulturhof Ostarrichi, unterstützt vom österreichischen Bundeskanzleramt in Niederösterreich, Felix Benneckenstein stellvertretend für die Aussteigerhilfe Bayern als Teil von EXIT-Deutschland an der jährlich stattfindenden Jugend – Enquete teil, die nach Erstellung eines akribisch ausgearbeiteten Konzeptes (ebenfalls nach einigen Verschiebungen) stattfinden konnte. In deutlich abgespecktem Umfang im Vergleich zu den Vorjahren konnten Jugendliche aus ganz Österreich sich bei unterschiedlichen kundigen Referenten zum Thema „Faschismus & Nationalismus“ informieren und austauschen.


Foto: Franz Jetzinger

Mit unserem Mitarbeiter wurde (nun schon zum siebten Mal in Folge) zudem eine ganze Reihe an Schülergesprächen im November im gesamten Gebiet Mecklenburg-Vorpommerns durchgeführt. Ob der besonderen Lage mussten auch hier Genehmigungen eingeholt und besondere Konzepte erarbeitet werden, damit sich die Veranstaltungen mit den zu diesem Zeitpunkt bereits bestandenen verschärften Maßnahmen vereinbaren und realisieren lassen können. Die Initiative WarmUp – Jugend für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern sowie die Mecklenburger Anstiftung mussten mehrere Termine über das Jahr verteilt anvisieren, die dann jeweils wieder aufgelöst und neu gesetzt wurden. Letztendlich war es eine Fahrt ins Ungewisse: Jeder Termin musste am jeweiligen Vorabend nochmal final bestätigt werden.

Social Media: Wie Offline, nur mehr!

Über die sozialen Medien hat EXIT-Deutschland alleine bei Facebook im Gesamtjahr rund 240.000 Personen erreicht. Monatlich waren dies durchschnittlich 18.000 Impressionen und 2.000 Interaktionen. Bei Twitter wurden im selben Zeitraum (mit durchschnittlich 24 Tweets / Monat) 250.000 Menschen erreicht. Via Instagram erreichten wir circa 2.000 Zugriffe/ Monat bei durchschnittlich 600 Interaktionen. Insgesamt wurden also im Jahr 2020 alleine mit den Kanälen von EXIT-Deutschland fast eine halbe Millionen Menschen erreicht.

Über die Facebook-Seite unserer Kampagne #HassHilft konnten sogar 4 Millionen Nutzer bei etwa 880.000 Interaktionen gezählt werden. Im Monat interagieren durchschnittlich 70.000 Nutzer mit der Facebook-Seite von #Hasshilft. Bei Twitter erzielten die Tweets von #HassHilft stolze 5,4 Millionen Impressionen.

Addiert man die Impressionen von EXIT-Deutschland und #HassHilft, konnten insgesamt fast 10 Millionen Beitragsimpressionen über Soziale Medien erreicht werden.

Resignation? Wir haben Besseres zu tun.

International konnten wir auch in diesem Jahr einiges bewegen. Seit Mitte des Jahres leitet EXIT-Deutschland die Arbeitsgruppe Communication & Narratives des Radicalisation Awareness Network (RAN). Ein Netzwerk der Europäischen Kommission, das Politik, Praxis und Wissenschaft zusammenbringen möchte, sowie internationale Ansätze der Prävention und Intervention qualifizieren und den Erfahrungsaustausch unterstützen will. Das RAN ist seit vielen Jahren ein Partner von EXIT-Deutschland, den wir nach Möglichkeit unterstützt haben. Umso mehr freut es uns, dass wir diese Zusammenarbeit künftig auf einem neuen Level weiterführen und intensivieren können.

Trotz teilweise widriger Rahmenbedingungen konnten wir mehr als 49 Medien-Beiträge unterstützen: 35 Zeitungsartikel, 6 Podcasts und 8 TV Beiträge. Zudem realisierten wir 11 Beiträge in Fachmedien – Schwerpunkt „Rechtsextremismus und Ausstieg“. Insbesondere die Fernsehbeiträge waren dabei eine besondere Herausforderung. Dennoch gelang es, 4 besondere TV-Beiträge umzusetzen, die sich mit den Themen Ausstieg, rechtsradikale Tattoos, oder der historischen Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland – auch mit Schwerpunkt Spät-DDR / Ostdeutschland – auseinandersetzen. Besonders hervorzuheben: Gemeinsam mit LogoTV haben wir einen kindgerechten TV-Beitrag zum Thema produziert.

Ausstiegsbegleitung auf Distanz

Für die praktische Fallarbeit allerdings können wir der Distanz wenig Positives abgewinnen. Zwar haben wir schon lange auf überwiegend fernmündliche Kommunikation in der Begleitung von Aussteigerinnen und Aussteigern gesetzt – Der punktuelle persönliche Austausch bleibt dennoch unverzichtbar. Fälle, die schon länger durch uns begleitet werden, können wir in aller Regel normal bedienen, aber was ist mit Erstkontakten? 2020 haben wir hier teilweise die Zeiten zwischen den Lockdowns genutzt, um sich persönlich zumindest einmal gesehen zu haben. Besuche in Justizvollzugsanstalten sind erheblich komplizierter geworden und waren zwischenzeitlich überhaupt nicht möglich. Ein Bild von der mentalen Lage des Aussteigers / der Aussteigerin zu zeichnen ist so extrem erschwert und mit unkalkulierbaren Risiken verbunden.

Wie geht’s jetzt weiter?

Fest steht: Auch im Jahr 2021 werden wir Menschen unterstützen, die sich die Sinn-Frage stellen und mit dem Extremismus brechen möchten. Diejenigen, die in diesem Jahr den Weg zu uns fanden, haben ihre persönliche Antwort schon gefunden. Was wir schon jetzt versprechen können ist, dass wir auch für dieses Jahr einige spannende Veranstaltungen planen. Wir werden unser Online-Angebot weiter ausbauen, neue Medienformate mit Inhalten füllen und (wenn es die Rahmenbedingungen zulassen) auch in der Offline-Welt präsent sein. Zum Schluss möchten wir uns bei allen bedanken, die uns und unsere Arbeit in so vielfältiger Art & Weise unterstützt haben. Wir sagen an dieser Stelle nochmals DANKE!!! an alle Spenderinnen und Spender für die großartige Unterstützung 2020. Ohne die Unterstützung und auch den Spenden hätten wir – wie so oft – unsere Arbeit nicht umsetzen können. Besonderer Dank gilt allen Spendern, sie ermöglichen uns, die Arbeit von EXIT-Deutschland überhaupt und im erforderlichen Umfang umzusetzen. Überhaupt deshalb, weil wir für die Förderung des BMFSFJ eine Ko-Finanzierung von 10 % aufbringen müssen und im erforderlichen Umfang – weil die Förderung nur eine Grundsicherung darstellt, die den notwendigen Bedarf und alle anfallenden Kosten nicht abdeckt. Wir haben eine Förderzusage für den Zeitraum 2020-2022 in Höhe von jährlich 225.000 € bei jeweils jährlicher Neubeantragung. Aber nicht nur wir wurden unterstützt: Dank unzähliger Spender und unserer Kampagne #HassHilft wurde 2020 die 100.000 Euro Marke gerissen. Wir konnten somit die Arbeit der Aktion Deutschland Hilft mit 50.000 Euro unterstützen.

Last, but not least – Das Wichtigste: Seit Gründung im Jahre 2000 konnten durch EXIT-Deutschland mehr als 800 Personen beim Ausstieg aus rechtsextremen Zusammenhängen unterstützt werden.

Was noch zu sagen bleibt

Wer sich jetzt fragt „Was habe ich da nur alles verpasst?!“ und im neuen Jahr nicht wieder erst nach Ablauf des Jahres über unsere Arbeit und Aktivitäten informiert werden möchte …

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Jahresrückblick 2019